Andrea Rosenauer (Wien)
[BIO]
Literatur im WWW ist nicht nur eine relativ neue Erscheinungsform von Literatur, sondern auch ein zur Zeit von LiteraturwissenschafterInnen noch zu wenig beachtetes Forschungsfeld.(1) Wenngleich Hypertext als Textgattung auch in der österreichischen Literatur nichts Unbekanntes ist (das bekannteste Beispiel dafür ist Andreas Okopenkos "Lexikonroman"), ist es interessant zu beobachten, wie die neuen Möglichkeiten, die das World Wide Web auf technischer Ebene bietet, von AutorInnen genutzt werden. Einerseits bietet das WWW literarisch Tätigen die Möglichkeit der Selbstdarstellung und Werkpräsentation auf selbstgestalteten Homepages - und damit Unabhängigkeit von Vermittlungsinstanzen wie Verlagen. Andererseits ermöglicht und erleichtert die Verknüpfung von Texten, Textteilen, Bildern und Tönen mittels Hypertext Markup Language oder verwandten Textauszeichnungssprachen neue Darstellungsformen.
Von der elektronischen Literaturzeitschrift über die persönliche Homepage einzelner AutorInnen zu den Seitenverbünden von AutorInnenkollektiven bis hin zu elektronischen Büchern oder - auch kollaborativ verfaßten - Erzählungen, die z.T. als Hypertexte abrufbar sind, reicht die Vielfalt literarischer Publikationsformen im World Wide Web. Diese Publikationsformen zeichnen sich unter anderem durch die direkte Interaktionsmöglichkeit mit den BenutzerInnen - den Lesenden - und den weitgehenden Wegfall aufwendiger Distribution aus.
Die Möglichkeit, die digitalen Web-Seiten ständig zu aktualisieren und zu verändern, bietet KünstlerInnen ein interessantes Experimentierfeld, stellt aber zugleich jene, die wissenschaftlich mit digitalen Kunstprodukten, wie der Web-Literatur arbeiten, vor das Problem, Ihre Arbeit nachvollziehbar zu halten. Zwar können wissenschaftliche Arbeiten zumindest Momentaufnahmen von Teilen von im WWW publizierter Literatur liefern, das Archivierungsproblem bleibt aber trotz einer dankenswerten Initiative der Österreichischen Nationalbibliothek(2) weitgehend undiskutiert und ungelöst.
Um eine Archivierung literarischer Webseiten und -sites ebenso wie deren Erforschung anzuregen, kann eine Zusammenschau von Literatur im World Wide Web hilfreich sein. Auf der Website des INST ist eine derartige "Webliographie" in Form kommentierter Links zum Thema "Österreichische Literatur im World Wide Web" abrufbar.(3) Diese Seitenfolge, die eine Art Auswahlbibliographie zum Thema darstellt und Forschenden und Interessierten einen Einstieg und Überblick ermöglichen soll, ist die Weiterentwicklung einer Seite, die seit Oktober 1998 angeboten wird. Die erste Version stellte einen Versuch dar, ein Verzeichnis von online erscheinender Literatur und Information zu Literaturschaffenden in und aus Österreich anzubieten. Die Informationen wurden vor allem mit Hilfe von Suchmaschinen zusammengestellt. Basis waren die Suchworte "österreichische Literatur" sowie eine Suche nach einer Auswahl der im Katalog-Lexikon zur Österreichischen Literatur des 20. Jahrhunderts(4) enthaltenen AutorInnennamen. Allerdings katalogisieren auch die größten Suchmaschinen des WWW nicht mehr als etwa ein Drittel der vorhandenen Seiten, die Auswahlprinzipien dieser Kataloge (wie Alta Vista, Northern Light oder Lycos) sind intransparent und unterschiedlich. Die Struktur und Findbarkeit der via WWW angebotenen Literaturseiten macht somit das Zusammenstellen von Metaverzeichnissen (wie hier zur österreichischen Literatur im WWW) zu einer nahezu abenteuerlichen Tätigkeit(5), die noch weniger als im Bereich der gedruckten Literatur auf Vollständigkeit zielen kann. Viele der genannten Seiten wurden auch "zufällig" im Rahmen anderer Suchtätigkeiten zu verwandten Themen entdeckt(6), andere verdankte die Kompilatorin dem direkten Kontakt mit Autorinnen und Autoren.
Eine Auswahlbibliographie im Internet, die Links zu Webseiten enthält, ist wegen der Veränderbarkeit dieser Ressourcen und ihrer Adressen (URLs) etwas Dynamisches, das ohne nahezu ständige Betreuung schnell veraltet und unaktuell wird. Die Informationen zur österreichischen Literatur im World Wide Web wurden und werden regelmäßig überprüft, aktualisiert und erweitert. Im Juni 1999 erfolgte - auch wegen der zu diesem Zeitpunkt bereits stark angewachsenen Menge der kommentierten Links - eine grundlegende Überarbeitung der Informationen. Sie wurden in folgende Bereiche gegliedert:
Die Seitenfolge zur österreichischen Literatur im WWW ist auch ein gutes Beispiel dafür, wie das INST die in seinem Titel genannten Ziele der "Erforschung und Förderung österreichischer und internationaler Literaturprozesse" umsetzt. Neben der genannten Ressourcenübersicht wurden bereits eine Reihe von Diskussionen und Arbeiten zum Thema angeregt. Dokumentiert sind diese unter anderem in Publikationen in TRANS Nr.6 (Schwerpunkt: Kulturwissenschaften, Datenbanken und Europa)(7) und Nr. 7 (Schwerpunkt: Beginn eines Polylogs zur österreichischen Literatur)(8) sowie in der Online-Forschungskooperation "Internationale Kulturwissenschaften - International Cultural Studies - Etudes culturelles internationales".(9) Der Diskussionsprozeß wird unter anderem bei der im September 2000 in Bergen (Norwegen) stattfindenden Konferenz "Processes in Theatre, Art and Literature" im Rahmen der Working Group "The Arts in the World Wide Web" fortgesetzt werden.
Die Links zur Österreichischen Literatur im World Wide Web wurden im 2. Halbjahr 1999 durchschnittlich 730 mal pro Monat genutzt, wobei die Zahl der Zugriffe - abgesehen von gelegentlichen Schwankungen - kontinuierlich zunimmt. So sind beispielsweise im Mai 2000 über 1400 Seitenabfragen zum genannten Themenbereich zu verzeichnen.
Eine Erweiterung der Verweise auf Texte und Ressourcen zur österreichischen Literatur, die nicht in deutscher Sprache verfaßt wurden und werden, ist geplant. Für die Einarbeitung von Verweisen zu diesen Werken der österreichischen Literatur ist die Zusammenarbeit mit Forschenden, die über die entsprechenden Sprachfähigkeiten und Literaturkenntnisse verfügen, erforderlich. Auch für diese Ergänzungen ist das Internet als Medium der Wissenschaftskooperation ein wichtiges Hilfsmittel. Weiters erlaubt die Möglichkeit der Erweiterung und Überarbeitung einer "Webliographie" zur österreichischen Literatur im WWW den Benutzenden den Zugriff auf Informationen, die auf dem neuesten Stand sind und ohne Zeitverzug der Forschung, aber auch einem breiten interessierten Publikum nutzbar gemacht werden.
© Andrea Rosenauer (Wien)
Anmerkungen:
(1) Vgl. dazu: Andrea Rosenauer: Ein neues Arbeitsfeld für LiteraturwissenschafterInnen: Literatur im World Wide Web. In: TRANS Nr. 6/1998. WWW: http://www.inst.at/trans/6Nr/rosenauer.htm.
(2) Alfred Schmidt: Bibliotheken und Internet - das Informationsangebot der Österreichischen Nationalbibliothek via Internet im europäischen Kontext (insbes. Abschnitt 3.4.: Archivierung Elektronischer Medien) In: TRANS. WWW: http://www.inst.at/trans/6Nr/schmidt.htm. Zugriff am 1998-10-31.
(3) INST: Österreichische Literatur im World Wide Web. Unter besonderer Berücksichtigung zeitgenössischer AutorInnen, Sammlungen und Texte. Zusammengestellt von Andrea Rosenauer. WWW: http://www.inst.at/links/oelit.htm. Letzter Zugriff auf diese und alle weiteren zitierten WWW-Seiten am 2000-06-19, sofern nicht anders angegeben.
(4) IG Autoren - Autorensolidarität: Katalog-Lexikon zur österreichischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Teil 1. Band 1: AutorInnen A-M und Teil 1. Band 2: AutorInnen M-Z. Wien: IG Autoren, [1995].
(5) Vgl. Edmund F. Santa Vicca: The Internet as a Reference and Research Tool. A Model for Educators. In: Robin Kinder (Ed.): Librarians and the Internet. Binghamton, N.Y.: Haworth, 1994. S.226; weiters: Steve G. Steinberg: Seek and Ye Shall Find (Maybe). In: Wired. No.5/Vol.4/1996. S.108ff und Stefan Karzauninkat: Die Suchfibel. Was steckt dahinter? WWW: http://www.suchfibel.de/5technik/index.htm. Die URLs der genannten Suchmaschinen: Alta Vista: http://www.altavista.com; Northern Light: http://www.northernlight.com; Lycos: http://www.lycos.com bzw.: http://www.lycos.de.
(6) Gemeint sind "serendipitäre" Funde im Sinne von Horace Whalpoles Verwendung des Wortes "Serendipity". Vgl. dazu Reinhard Kaiser: Literarische Spaziergänge im Internet. Bücher und Bibliotheken online. Frankfurt/Main: Eichborn 1996, S. 23f.
(7) Vgl. z.B.: Philipp Löser: Hypertext im Diskurs. Kritische Ergänzungen zur Diskussion um das Genre literarischer Hypertexte und zur Art und Weise, in der sie ihren Gegenstand formt. In: TRANS. Nr. 6/1999. WWW: http://www.inst.at/trans/6Nr/loeser.htm.
(8) Vgl. z-B.: Zeitgenössische österreichische Literatur im World Wide Web. Einige Beispiele für den Umgang von AutorInnen mit neuen Gestaltungsmöglichkeiten in elektronischen Medien. TRANS Nr. 7/1999. WWW: http://www.inst.at/trans/7Nr/rosenauer7.htm.
(9) Vgl. z.B.: Alessandra Schininà: LiteraturwissenschafterInnen und Computergesellschaft. In: "Internationale Kulturwissenschaften - International Cultural Studies - Etudes culturelles internationales". WWW: http://www.inst.at/studies/s_0902_d.htm.
Webmeisterin: Angelika Czipin
last change 04.07.2000